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Die Not verwaister Geschwister

Seit zwei Jahren treffen sich Menschen, die ihre Brüder oder Schwestern durch Tod verloren haben, regelmäßig in einer Selbsthilfegruppe, der einzigen in der Region.

Pastorin Kristiane Voll

Julia. Adelina. Ulrike. Anika. Mädchen, die verschwunden sind oder getötet wurden und deren Schicksal die Öffentlichkeit bewegt. Die Eltern der Opfer stehen mit ihren Ängsten, ihrer Trauer oder ihren Hoffnungen im Mittelpunkt. „Ich frage mich manchmal, ob es da Geschwister gibt und wie sie mit der Situation umgehen“, sagt Kristiane Voll. Die 37-Jährige ist die erste Pastorin für Trauerbegleitung in der evangelischen Kirche Deutschlands, und sie hat gemeinsam mit zwei Frauen vor zwei Jahren eine Selbsthilfegruppe für verwaiste Geschwister ins Leben gerufen, die einzige in der Region Köln / Bonn / Aachen. „Die Bedürfnisse der Geschwister sind in solchen Situationen oft gar nicht im Blick“, sagt die Pastorin, deren Schwester im Jahr 1988 an Krebs gestorben ist. Dabei seien gerade sie oft „doppelte Verlierer“: Sie verlieren Bruder oder Schwester und nicht selten die Aufmerksamkeit und Zuwendung ihrer Eltern, zumindest für eine gewisse Zeit. „Und das tut doppelt weh“, hat die Seelsorgerin festgestellt.

Normalerweise jeden zweiten Samstag im Monat trifft sich die Gruppe im Gemeindehaus der Christuskirche Ecke Herwarthstraße / Werderstraße. Auf rund zehn Frauen und Männer, die meisten zwischen 30 und 40 Jahre alt, hat sich die Teilnehmerzahl inzwischen eingependelt. Doch die Zahl der Interessenten liege bei weit mehr als 20, „und die hat sich über die zwei Jahre gehalten“. Der Tod der jeweiligen Brüder oder Schwestern liegt unterschiedlich lang zurück. Die Teilnehmer reden, tauschen Erfahrungen aus, teilen ihren Schmerz, bestärken sich gegenseitig, „das ist für alle eine große Hilfe“.

Die Initiatorinnen bieten bei jedem Treffen auch Themen an. Wie war die Beziehung zum Verstorbenen? Wie ist das Verhältnis zu anderen Geschwistern, zu den Eltern? Wie gehe ich mit Jahrestagen um, wie mit Friedhofsbesuchen? Aber auch: Wie stehe ich Gerichtsverhandlungen durch, wenn ich etwa einem Unfallverursacher Auge in Auge gegenüber stehe? Ein wichtiges Thema sei das Verhältnis der verwaisten Geschwister zu ihren jeweiligen Partnern, die die Verstorbenen manchmal kaum oder gar nicht gekannt hätten, erklärt Elke Sonnenberg, die zwei Brüder durch Verkehrsunfälle verloren hat. „Wir können Erfahrungen ganz aktuell thematisieren“, sagt Pastorin Voll, der allerdings auch bewusst ist, dass die Gruppe kein „Allheilmittel“ für alle verwaisten Geschwister ist. Die Gruppe sei zwar offen, die Teilnehmer zeigten „ein hohes Maß an Toleranz und Akzeptanz“, aber nicht alle Betroffenen fänden sich in einer solchen Situation gleichermaßen zurecht. Für die Teilnehmer sei es wichtig, dass ihre toten Geschwister in der Gruppe „eine feste Zeit und einen festen Platz“ hätten. Das entlaste sie in anderen Lebensbereichen, etwa am Arbeitsplatz. [...]

Kölner Stadtanzeiger, 10.09.2001

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  • #1

    Ute (Freitag, 26 April 2024 12:55)

    In meinem Fall ist es sehr schwer über die Geschichte zu schreiben, denn es kommen einfach sehr viele Faktoren hinzu, die benso unwahrscheinlich wie traurig sind. Ich war auf den Tag genau zwei Jahre alt, als wir meine kleine Schwester tot in ihrem Bett fanden. Wir waren gerade dabei meine Geburtstagstorte zu backen. Das Bild von der Torte, die zur Hälfte am Boden lag, sowie andere schreckliche Bilder werde ich nie vergessen, obwohl ich so jung war. Wir, meine Mutter, meine 4 Jahre ältere Schwester und ich, wollten zusammen meine jüngere Schwester, die erst ein halbes Jahr alt war aus dem Bett holen, meine Mutter war noch froh, daß sie so lange geschlafen hatte, weil sie sich dann besser um meinen Geburtstag kümmern konnte. Ich war im Grunde zu jung, um zu vestehen was das alles bedeutete, ich sah meine Schwester mit einer seltsam bläulich-violetten Haut im Bett liegen und meine Muter in Panik geraten, es kamen iregndwelche Leute, die meine Schwetsre mitnahmen und sie kam nie mehr zurück. Wenn ich meine Mutter fagte sagte sie mir, sie wäre im Himmel und es wäre alles gut, aber sie war einfach nicht mehr da, zusammen mit meiner Mutter, die war auch irgendwie nicht mehr da. Ich hatte meine kleine Schwester in der Nacht schreien hören und sagte immer wieder, daß Anke weint, weil ich es nicht anders ausdrücken konnte. Ein halbes Jahr später verließen wir unseren Heimatort, weil meine Eltern es dort nicht mehr aushielten. Meine Mutter war den rest meienr Kindheit uns Jugend nur noch überfordert und eher Kind als Mutter, mein Vater wurde mit der Zeit immer gewalttätiger. Wir waren ein mal nach der Beerdigung mit meiner Mutter am Grab meiner Schwester, das war einige Wochen nach ihrer Beerdigung, Und ich erinnere mich bis heute exakt an diesen tag, es war sonnig, es standen Gänseblümchen auf der Wiese nahe dem Grab und ich dand eine halbe Walnussschale, die ich mit Erde füllte, ein paar Gänseblümchen hinein tat und meiner Schwester auf ihr kleines Kindergrab stellte. Ich möchte nicht im Einzelnen beschreiben, wie schrecklich meine restliche Kindheit war. Was ich aber sagen kann ist, daß ich mich nie davon erholt habe, meine Schwester bis heute vermisse und nicht weiß was für ein mensch sie geworden wäre, ob sie heute Kinder hätte, daß einfach zu viele Fragen offen geblieben sind, die mich unendlich traurig machen.